01.02.2024 | Nobelpreis-Lecture

Anne L’Huillier und ultrakurze Lichtblitze

Die Physik-Nobelpreisträgerin des Jahres 2023 gewährte bei einer gemeinsamen Lecture von ÖAW und ISTA im Festsaal der Akademie Einblicke in ihr komplexes Fachgebiet – und in die Anfänge ihrer Arbeit vor vierzig Jahren, ohne Computer.

Nobelpreisträgerin Anne L’Huillier bei ihrem Vortrag im Festsaal der ÖAW. © ÖAW/Ludwig Schedl

Zwei Nobelpreisträger:innen in einem Raum – wann kann man das in Wien schon erleben? Doch bei Anne L’Huilliers Lecture mit dem Titel „Attosecond Pulses for Studying Ultrafast Electron Dynamics“ wurde das Unwahrscheinliche wahr – schließlich saß mit ÖAW-Altpräsident und Quantenphysiker Anton Zeilinger ein weiterer Preisträger in der ersten Reihe des Festsaals und gehörte zu den ersten, die seiner Fachkollegin von der schwedischen Universität Lund Fragen stellten. 

Doch zunächst richtete Martin Polaschek, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Grußworte an die Anwesenden und betonte den Mehrwert, der 2016 etablierten Vortragsreihe Lectures von Österreichischer Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Institute of Science and Technolgy Austria (ISTA): „Sie setzt der Wissenschaftsskepsis etwas entgegen. Und die liegt in Österreich leider über dem europäischen Durchschnitt.“

ISTA-Vizepräsident Georg Schneider, eingesprungen für den kurzfristig erkrankten ISTA-Präsidenten Martin Hetzer, führte den Anspruch aus, den seine Institution mit der Vortragsreihe verfolge. „Sie bringt brillante und außergewöhnliche Köpfe nach Wien und fördert den Austausch. Ich freue mich besonders, wenn viele hier Anwesende keine Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind, sondern interessierte Öffentlichkeit. Denn zu unserem Verständnis von Exzellenz gehört es auch, die Öffentlichkeit für Wissenschaft zu interessieren.“ 

Extrem kurze Lichtblitze

Nach einer kurzen Vorstellung der Vortragenden Anne L‘Huillier durch ÖAW-Vizepräsidentin Ulrike Diebold – selbst auch Physikerin – trat die schwedisch-französische Professorin für Atomphysik, die seit 2021 ÖAW-Mitglied ist, ans Rednerpult. In ihrer Präsentation beleuchtete sie ihre Forschungsarbeit an den kürzesten Laserblitzen der Welt, für die sie gemeinsam mit ÖAW-Mitglied Ferenc Krausz und Pierre Agostini mit dem Nobelpreis 2023 ausgezeichnet wurde. Diese extrem kurzen Lichtblitze liegen im Attosekunden-Bereich (eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde) und ermöglichen es erstmals, die ultraschnellen Bewegungen von Elektronen sichtbar zu machen. So können bestimmte elektronische Prozesse zukünftig besser beobachtet und kontrolliert werden.

In ihrem Vortrag streifte L‘Huillier auch die Vorgeschichte der Attosekunden-Forschung. Bereits 1984 entdeckte die Forscherin, dass viele verschiedene Obertöne entstehen, wenn man infrarotes Laserlicht durch ein Edelgas schickt. Theorie und Experimente seien damals Hand in Hand gegangen, erklärte L‘Huillier. „Dabei fanden die ersten Experimente, die wir damals durchgeführt haben, noch prä-computer statt. Wir hatten lediglich einen Printer, der direkt an die Versuchsanordnung angeschlossen war. Erst in den frühen neunziger Jahren hielten erste Computer in die Labore Einzug!“ 

Mit selbst angefertigten Zeichnungen und humorvollen Analogien brachte L’Huillier ihre hochkomplexe Materie auch interessierten Laien nahe, nachzusehen im Video (siehe unten) sowie auf dem YouTube-Kanal der ÖAW

Small Talk mit dem König und Frauen in der Physik

Ihren Vortrag rundete die Forscherin mit Fotos von der Nobelpreis-Zeremonie ab. Beim Festbankett sei sie neben dem König von Schweden, Carl XVI. Gustav zu sitzen gekommen und habe sich lang und angeregt mit ihm unterhalten. Zum Glück habe der Monarch nicht gewusst, dass für sie als gebürtige Französin eine Lieblingsepisode in den Geschichtsbüchern stets die Französische Revolution gewesen sei. Und die endete, wie man weiß, nicht gut für gekrönte Häupter.

Auf den Vortrag und einen langanhaltenden Applaus folgten Fragen aus dem Publikum. Eine Zuhörerin wollte wissen, wie es Anne L’Huillier als Frau in der Forschung ergangen sei – eine naheliegende Frage, schließlich haben seit der Gründung des Preises im Jahr 1901 insgesamt 224 Forschende den Physik-Nobelpreis erhalten, darunter allerdings nur fünf Frauen: Marie Curie (1903), Maria Goeppert-Mayer (1963), Donna Strickland (2018), Andrea Ghez (2020) und jetzt Anne L'Huillier (2023).  

„Diese Frage wird mir oft gestellt“, erwiderte die Nobelpreisträgerin. „Es ist möglich, dass ich als Frau in der Forschung sichtbarer war, vielleicht hatte ich auch Vorteile durch Programme, die Frauen fördern. Vielleicht gab es aber auch einen Bias gegenüber mir als weiblicher Forscherin. Mit Sicherheit kann ich nur sagen, dass ich während meiner 40 Jahre in der Forschung beobachten konnte, dass das Bewusstsein für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zunimmt. Mittlerweile sind viel mehr Frauen in meinen Forschungsgruppen, während ich früher oft als einzige Frau mit Männern zusammengearbeitet habe. Wandel findet statt, aber er dauert. In nochmal 40 Jahren werden wir ein Gleichgewicht erreicht haben.“ 

 

 

AUF EINEN BLICK

Anne L’Huillier wurde 1958 in Paris geboren. Sie dissertierte im Jahr 1986 an Université Pierre et Marie Curie und am Commissariat à l'Energie Atomique (CEA). Ihre wissenschaftliche Karriere brachte sie als Postdoc an das Chalmers Institute of Technology in Göteborg, Schweden und an die University of Southern California, Los Angeles. 1997 wurde sie zur Professorin für Physik an der Universität Lund ernannt. Seit 2021 ist sie ÖAW-Mitglied im Ausland.