14.12.2023 | Klimakrise

Auch nach dem Klimagipfel in Dubai schmelzen in Österreich die Gletscher

Österreichs Gletscher schmelzen rasant. Die beiden warmen Jahre 2022 und 2023 haben für einen besonders dramatischen Eisverlust gesorgt. Ein neues Monitoring mehrerer Wissenschaftseinrichtungen mit Beteiligung der ÖAW hat nun erstmals insgesamt erhoben, wie es um Eis und Schnee in Österreich steht. Die Forschenden hoffen, aufgrund der aktuellen Daten Anpassungsstrategien entwickeln zu können, die den Alpen und anderen Gebirgsregionen weltweit helfen können.

Die Pasterze ist Österreichs größter Gletscher und hat in vergangenen Jahren einen enormen Rückgang erlebt. © Adobe Stock

Während im Wüstenstaat Dubai die Staaten der Welt in den letzten Wochen über die Klimakrise diskutierten, wurde in hierzulande kürzlich von der Universität Graz der erste “KryoMon.AT”-Bericht (Kryosphären Monitoring Österreich) zum Zustand des gefrorenen Wassers in Österreich veröffentlicht. Damit stehen erstmals aktuelle belastbare Daten zur Entwicklung nicht nur von Gletschern, sondern auch von Permafrostböden, Seeeis und Schneesituation in Österreich zur Verfügung. Das sind Informationen, die inmitten des Klimawandels von besonderer Bedeutung sind.

Die beteiligten Forscher:innen möchten den Report daher in Zukunft jährlich aktualisieren, um die rasanten Veränderungen zu dokumentieren und mögliche Konsequenzen für Menschen und ihre Lebensräume besser abschätzen zu können. Für die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) war Gletscherforscherin Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW am Bericht beteiligt. Sie erklärt im Interview, wie es um die sogenannte Kryosphäre bestellt ist und was uns in Zukunft noch erwarten könnte.

Österreichs Gletscher sind Verlierer des Klimawandels

Was liefert der erste Kryosphärenreport für Österreich?

Andrea Fischer: Neu ist, dass der Bericht nicht nur Gletscher, sondern auch Permafrostphänomene, die Schneesituation und Seeeis berücksichtigt - also die gesamte Kryosphäre. Da gab es bisher in der Datenlage eine Lücke. Wir hatten zwar hydrologische Berichte zu den Wasserkreisläufen, aber keinen detaillierten Überblick über Permafrost und Seeeis. Mit KryoMon.AT haben wir das Pilotprojekt abgeschlossen, aber wir wollen das in Zukunft unbedingt als kontinuierliches Monitoring mit jährlichen Berichten weiter betreiben. Daher sind wir mit den zuständigen Ministerien derzeit in Verhandlung wegen der Finanzierung.

Heuer waren die Alpen von Mitte bis Ende Oktober schneefrei bis in die Gipfel und wir hatten auf den Gletschern nur Blankeis. Das gab es seit Beginn der Messaufzeichnungen noch nie.

Was hat 2023 für die Kryosphäre gebracht?

Fischer: Heuer waren die Alpen von Mitte bis Ende Oktober schneefrei bis in die Gipfel und wir hatten auf den Gletschern nur Blankeis. Das gab es seit Beginn der Messaufzeichnungen noch nie. Üblicherweise gibt es ab September eine Neuschneedecke. Wenn es erst jetzt bei niedrigen Temperaturen schneit, ist der Schnee sehr locker und wird stärker verweht als sonst. Die Monate Oktober und November sind am wichtigsten für die Entstehung einer Schneedecke an den Gletschern, die das Eis im Sommer so lange wie möglich vor der Schmelze schützt. Wenn zu dieser Zeit selbst in größeren Höhen der Altweibersommer herrscht, können selbst massive Schneefälle von Dezember bis Februar das in der Massenbilanz nicht wettmachen. 

Wie beurteilen Expert:innen den Zustand der Gletscher?

Fischer: Vor allem in den etwas tiefer gelegenen Ostalpen ist der Zustand prekär. Hier beobachten wir seit zwölf Jahren jeden Sommer steigende Masseverluste bis auf die höchsten Gipfel. 2022 hat sich die Situation der Gletscher in Österreich nochmals dramatisch verschlechtert und die Eiszungen haben im Mittel drei Meter Dicke eingebüßt. 2023 war beinahe genauso schlimm für die Massenbilanzen. Die Rekordschmelze von 2003 wurde damals als Jahrtausendereignis bezeichnet, lag aber bei nur 2 Meter Verlust. Hier hat sich das Regime durch den Klimawandel signifikant geändert, das Extrem der frühen Jahre dieses Jahrtausends ist jetzt der neue Normalzustand. Bei vielen Gletschern im Land sehen wir mittlerweile Zerfallserscheinungen bis ganz hinauf und viele ehemals vereiste Jöcher apern im Sommer bereits komplett aus.

Wir hatten in Österreich teilweise 40 Prozent weniger Niederschläge. Das wäre eine Entwicklung, die selbst außerhalb unserer Klimamodelle für die Situation im Jahr 2100 läge.

In den kommenden Jahren wird der Zerfall weitergehen und die Landschaft im Hochgebirge wird sich drastisch verändern, was natürlich wiederum Einfluss auf die Ökosysteme und den Wasserkreislauf hat. Wie genau es weitergehen wird, lässt sich derzeit nicht mit Bestimmtheit sagen, weil die Datenlage nicht gut genug ist. Mit KryoMon.AT wollen wir hier eine belastbare Grundlage schaffen, um bessere Prognosen tätigen zu können. 

Gletscher in den Ostalpen bis 2050 fast verschwunden

Was passiert, wenn die Verhältnisse der Jahre 2022 und 2023 zur Norm werden?

Fischer: Das hoffen wir nicht. Wir hatten in Österreich teilweise 40 Prozent weniger Niederschläge. Das wäre eine Entwicklung, die selbst außerhalb unserer Klimamodelle für die Situation im Jahr 2100 läge. Welche Effekte das mit sich bringen würde, haben wir deshalb überhaupt nicht im Blick. Die Kryosphäre kann aber ein guter Indikator sein, um solche Fragen zu beantworten. Wenn die extremen Verhältnisse der vergangenen zwei Jahre die Norm wären, würden wir gerade in den klimasensiblen Alpen sicher unzählige Rückkopplungseffekte sehen und die Folgen für unsere Ökosysteme wären beträchtlich. Wir haben in den Alpen glücklicherweise Klimadaten, die 10.000 Jahre zurückreichen, durch Eisbohrkerne und andere natürliche Klimaarchive. Dadurch können wir besser einschätzen, wie außergewöhnlich eine Änderung ist und welche Auswirkungen sie auf die Biodiversität haben könnte. Wenn wir Maßnahmen entwickeln können, um unsere Infrastruktur und Wassersysteme an die Veränderungen anzupassen, können wir langfristig auch andere Regionen, die bald ähnliche Probleme bekommen werden, unterstützen, zum Beispiel im Himalaya oder den Anden. 

Wenn wir Maßnahmen entwickeln können, um unsere Infrastruktur und Wassersysteme an die Veränderungen anzupassen, können wir langfristig auch andere Regionen unterstützen, zum Beispiel im Himalaya.

Wie lange werden wir in Österreich noch Gletscher haben?

Fischer: Die Extremjahre 2022 und 2023 sind in unseren Modellen noch nicht integriert, da müssen wir erst die richtigen Parameter suchen. Die Kernfrage ist, ob das zwei Ausreißer waren oder ein systemischer Umschwung. Davon hängt die Zukunft unserer Gletscher ab. Bis 2022 sind wir davon ausgegangen, dass zum Ende des Jahrhunderts noch etwa fünf Prozent der Gletscher vorhanden sein werden. Wenn wir aber bald öfter Jahre wie 2022 und 2023 sehen, werden in den Ostalpen schon 2050 nur noch einzelne Reste von Gletschern vorhanden sein.

Es ist deshalb enorm wichtig, dass wir die beteiligten Prozesse genau verstehen, damit wir für kommende Generationen lebenswichtige Fragen wie “Wie wird sich die Hochwassergefahr ohne Gletscher verändern?” oder “Wie beeinflusst das Freiwerden von möglicherweise labilem Sediment unter den Gletschern die Wahrscheinlichkeit von Murenabgängen?” beantworten können. Ohne eine vernünftige Risikobewertung lassen sich keine konkreten Schutzmaßnahmen ergreifen.

Schmelzende Permafrostböden als große Unbekannte in Österreich

Welche Rolle spielen Schnee und Permafrost im Bericht?

Fischer: Die Schneeniederschläge sind jahresabhängig sehr variabel, haben aber natürlich in Österreich enorme Folgen für den Wasserkreislauf, den Tourismus und die Strassenbewirtschaftung. Für die Klimaforschung sind wegen der starken jährlichen Schwankungen aber nur sehr lange Messreihen aussagekräftig. Permafrost ist eine große Unbekannte. In Österreich haben wir solche Böden hauptsächlich in großen Höhen, typischerweise jenseits von 2.000 Metern.

Was wäre die Folge von schmelzendem Permafrost in Österreichs Alpen?

Fischer: Hierzulande gibt es selbst in solchen Lagen über 2.000 Meter noch verhältnismäßig viel Infrastruktur, zum Beispiel Häuser, Skilifte oder Straßen. Wenn es durch tauenden Permafrost vermehrt zu abrupten Massenbewegungen kommt, wären derartige Einrichtungen eventuell akut bedroht. Das hängt aber von der Geschwindigkeit des Abschmelzens ab. Nur wenn der Permafrost relativ langsam schmilzt und genug Schmelzwasser entsteht, wird das Gelände instabil. Solche Massenverschiebungen können Siedlungen und Infrastruktur direkt bedrohen oder indirekt Flutereignisse auslösen, die mitunter bis ins Tal reichen. Über Permafrost in festem Gestein wissen wir ebenfalls zu wenig, aber die Zahl der Felsstürze scheint zuzunehmen. Hier brauchen wir mehr Daten.

Hierzulande gibt es selbst in Lagen über 2.000 Meter noch viel Infrastruktur, zum Beispiel Häuser, Skilifte oder Straßen. Wenn es durch tauenden Permafrost vermehrt zu abrupten Massenbewegungen kommt, wären derartige Einrichtungen eventuell bedroht.

Seeeis klingt für einen Laien vielleicht nicht unbedingt nach einer relevanten Kategorie für Österreich. Warum ist es trotzdem wichtig?

Fischer: Hier gibt es sehr lange Zeitreihen aus alten Dokumenten, in denen festgehalten wurde, ob heimische Seen im Winter zugefroren sind oder nicht. Das ist für die Lebewesen im See und ihre Ökosysteme durchaus relevant und auch der Energieaustausch mit der Atmosphäre wird durch eine Eisschicht unterbunden, was das Mikroklima in der Region verändern kann, indem etwa weniger Nebel entsteht.

Wie geht es weiter mit dem Monitoring der Kryosphäre?

Fischer: Daten über die Untergrundtemperaturen sind bisher kaum vorhanden, das würden wir in Zukunft gerne ändern. Jährliche Reports wären wichtig, damit wir ein Monitoring in Echtzeit realisieren können. Nur dann können wir mit den rasanten Veränderungen Schritt halten. Früher hat es gereicht, alle 30 Jahre eine Vermessung zu machen, weil sich in diesem Zeitraum die Gletscherflächen nur um etwa fünf Prozent verändert haben. Heuer haben wir am Jamtalferner in Tirol in nur einem Jahr ein Schrumpfen der Gletscherfläche um 10 Prozent dokumentiert. Wir tun alles, was möglich ist, um das Monitoring weiterführen zu können und hoffen, dass es Anfang 2024 weitergeht, damit wir ein adäquates Bild der Situation haben und keine dramatischen Veränderungen verpassen.

© ÖAW/Daniel Hinterramskogler

 

Andrea Fischer ist Geophysikerin und Glaziologin sowie Vizedirektorin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Seit 2022 ist sie zudem wirkliches Mitglied der ÖAW.

Das Projekt KryoMon.AT wird vom Klimaschutzministerium finanziert. Daran beteiligt sind zahlreiche Institutionen, nämlich die Universitäten Graz, Innsbruck, Salzburg und Krems, die TU Graz, die Österreichische sowie die Bayerische Akademie der Wissenschaften, Geosphere Austria, Bluesky Wetteranalysen, GEORESEARCH, die Biologische Station Neusiedl und die Hydrographie Österreich.

Der Bericht zum Download mit doi