24.11.2023 | Darmstammzellenforschung

Neues Licht auf die Regeneration der Darmschleimhaut

Molekularbiologen der ÖAW identifizierten in Darmorganoiden und Mausmodellen ein Protein, das auf zweifache Weise in die Regulierung von Darmstammzellen eingreifen kann: einmal die Teilungsaktivität dämpfend, einmal als Differenzierungsschalter zwischen Sekret- bzw. Darmschleimhautzellen. Die Studie wurde in Science Advances publiziert.

Zusammen verhindern die Proteine Rnf43 und Daam1, dass zu viele Darmschleimhautzellen gebildet werden. Wenn aber nur Daam1 exprimiert wird, entstehen aus den Stammzellen sekretorische Paneth-Zellen (grün), die im Übermaß tumorartiges Wachstum begünstigen. © Gabriele Colozza/IMBA

Die Darmschleimhaut ist vielen Belastungen ausgesetzt und muss ständig regeneriert werden. Dieser hohe Turnover macht den Darm interessant, um die Teilung der gewebespezifischen Stammzellen und die nachfolgende Differenzierung zu untersuchen. Die Darmstammzellen liegen in Einbuchtungen zwischen den Darmzotten und produzieren neue Schleimhautzellen, die den Darm auskleiden. Unter bestimmten Umständen aber schalten sie um, um Sekretzellen, die "Paneth-Zellen", zu bilden.

Ein Team um Bon-Kyoung Koo am IMBA ‒ Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat es sich zum Ziel gesetzt, Licht in die Regulierung dieser Prozesse zu bringen. Es wurden Darmorganoide analysiert und die Ergebnisse mit Erkenntnissen aus Mausmodellen verglichen. Erstautor der nun in der Fachzeitschrift Science Advances publizierten Studie ist Gabriele Colozza, Postdoktorand in Bon-Kyoung Koos Labor am IMBA, der mittlerweile Direktor am Center for Genome Engineering, Institute for Basic Science in Südkorea ist.

Darmorganoide sind dreidimensionale Zellkulturen. Sie werden aus adulten Darmstammzellen gezüchtet und liefern ein der Darmschleimhaut ähnliches Untersuchungssystem. Gabriele Colozza und seine Kolleg:innen wollten damit klären, wie es gelingt, Neubildung und Abbau abgenützter Darmzellen im Gleichgewicht zu halten – ein Ungleichgewicht würde zu einem Tumor bzw. zu einer Verarmung an Stammzellen führen. Schließlich konnte das Team durch einen Vergleich von Darmorganoiden und Mausmodell die Frage zu beantworten, was eine geteilte Stammzelle dazu bringt, zu einer Sekret- anstatt zu einer Schleimhautzelle zu werden.

Signale und Gegenspieler

Am Beginn der Arbeit mit den Darmorganoiden stand der wachstumsfördernde "Wnt-Signalweg“ mitsamt seinen hemmenden Gegenspielern im Zentrum der Untersuchungen. Ein erster Antagonist war bereits aus früheren Experimenten Koos bekannt: das Rnf43-Protein, das den Wnt-Rezeptor Frizzled zum Abbau markiert. Offen war jedoch, mit welchem molekularen Partner Frizzled zum Recycling gebracht wird.

Das Team um Koo und Colozza wurde fündig beim Gen Daam1 und seinem gleichnamigen Genprodukt, dem Protein Daam1, dessen Funktion in diesem Zusammenhang erstmals beschrieben wurde. Daam1 stellte sich als unerlässlich beim Dämpfen des Wnt-Signal heraus, weil es den markierten Rezeptor Frizzled in abbauende Bläschen transportiert.

Doch beim Vergleich von Knockout-Varianten von Organoiden und Mäusen traten Unstimmigkeiten auf, wenn man entweder Rnf43 oder Daam1 ausschaltete.

Aufschlussreiche Diskrepanz

Ohne Daam1 entwickelte sich im Organoid ein Tumor, in der Maus nicht. Und ohne Rnf43 kam es zwar in beiden Varianten zum Tumor, aber in den Knockout-Mäusen diffenzierten sich die Stammzellen im Übermaß zu Paneth-Zellen, die u.a. Wachstumsfaktoren wie Wnt produzieren und dadurch die Zellteilung in ihrer Umgebung anregten.

Daam1 ist für die effiziente Bildung von Paneth-Zellen erforderlich. Wenn es nicht vorhanden ist, differenzieren sich die Stammzellen in einen anderen Zelltyp.

„Es hat sich also herausgestellt, dass Daam1 für die effiziente Bildung von Paneth-Zellen erforderlich ist. Wenn Daam1 aber nicht exprimiert wird, differenzieren sich die Stammzellen in einen anderen Zelltyp“, fasst Gabriele Colozza zusammen.

Damit offenbarte die Klärung der Diskrepanz eine bislang unbekannte Funktion von Daam1: Die Studie von Colozza und Kolleg:innen ist der erste genetische Beweis dafür, dass Daam1, ein Mitglied des nicht-kanonischen Wnt-Signalwegs, entscheidend für die Spezifizierung von Paneth-Zellen ist und direkt an der Entwicklung dieser wichtigen sekretorischen Zelle beteiligt ist. Die Ergebnisse werfen auch ein Licht auf die Bedeutung der Stammzellnische. „Wir zeigen, dass Tumorzellen ihre Mikroumgebung modifizieren und ihre Umgebung beeinflussen, damit sie besser wachsen können“, so der IMBA-Forscher.

 

Auf einen Blick

Publikation:

Colozza G, Koo BK, et al., Intestinal Paneth cell differentiation relies on asymmetric regulation of Wnt signaling by Daam1/2. Science Advances, 2023. DOI: 10.1126/sciadv.adh9673
https://dx.doi.org/10.1126/sciadv.adh9673