24.01.2024 | Neue Formen des Antisemitismus

ÖAW erforscht Antisemitismus an österreichischen Unis

Historiker Gerald Lamprecht folgt Heidemarie Uhl als Leiter des ÖAW-Forschungsschwerpunkts Antisemitismus

Neue Formen des Antisemitismus stehen im Fokus eines neuen Forschungsschwerpunkts an der ÖAW. © AdobeStock

In Österreich hat die Zahl der antisemitischen Vorfälle nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zugenommen. Auch die Universitäten waren Schauplatz von Versammlungen, bei denen antisemitische Parolen skandiert wurden und jüdische Studierende in den Fokus gerieten. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) widmet sich mit einem neuen Projekt diesem Thema und erforscht den Antisemitismus an österreichischen Hochschulen.  

ÖAW-Präsident Heinz Faßmann sagt: „Wir erleben seit dem 7. Oktober einen immer heterogeneren Antisemitismus. Auch an Universitäten im In- und Ausland gibt es seither antisemitische Äußerungen, Schmierereien oder Versammlungen. Ein lauter Chor der Gegenstimmen hierzulande fehlt. Als Wissenschaft können wir nicht den Nahostkonflikt lösen, aber wir können neue Formen des Antisemitismus erforschen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, um die richtigen Maßnahmen entgegen zu setzen.“  

Den Forschungsschwerpunkt Antisemitismus an der ÖAW leitet seit Jänner 2024 der Grazer Historiker Gerald Lamprecht. Die Neubesetzung erfolgte aufgrund des frühen Todes von Heidemarie Uhl. Lamprecht ist Professor für jüdische Geschichte unter Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Graz. Er leitet seit 2006 das „Centrum für jüdische Studien“ an der Universität Graz und ist Koordinator für die Steiermark von „ERINNERN:AT“, dem Lern- und Lehrprogramm über Nationalsozialismus und Holocaust. Forschungs- und Lehraufenthalte führten ihn nach Budapest, Trinidad und Tobago, Kuba und Uruguay. Zudem ist er Autor zahlreicher einschlägiger Publikationen.  

Situation an den Universitäten

Lamprecht wird das neue Forschungsprojekt zum Antisemitismus an den österreichischen Hochschulen leiten. Im Fokus des Projektes steht die Entwicklung des Antisemitismus an den Hochschulen seit 1945, wobei in einem ersten Schritt die gegenwärtigen antisemitischen Aktivitäten untersucht werden. Es geht um antisemitische Akteure ebenso wie antisemitische Diskurse. „Um gegen jegliche Formen des Antisemitismus aktiv vorgehen zu können, braucht es zunächst ein genaues Verständnis darüber, wie und wo dieser in Erscheinung tritt. Die Universitäten als zentrale gesellschaftliche Instanzen nehmen hierbei eine besondere Rolle ein.“  

Rolle der Onlinemedien

Ein weiteres Projekt des ÖAW-Schwerpunkts Antisemitismus beschäftigt sich mit Veränderungen antisemitischer Diskurse und ihrer Rezeption in jüdischen Gemeinden. Ariane Sadjed vom ÖAW-Institut für Kulturwissenschaften erforscht, wie online und in sozialen Medien über Antisemitismus gesprochen wird und welche Muster sich hinter antisemitischen Postings verbergen. Sie sagt: „Innerhalb der jüdischen Communities sind die Wahrnehmungen und Erklärungen von Antisemitismus durchaus unterschiedlich. Der Diskurs in Medien und Politik ist jedoch immer mehr vom Kampf der Identitätspolitiken geprägt. Das greifen wir in unserem Forschungsprojekt auf. Wir wollen wissen, welche Rolle Onlinemedien in der Polarisierung von Meinungen einnehmen und wie dennoch Räume des Austauschs und der Reflexion geschaffen werden können.“

Aktuell läuft in der ÖAW-Antisemitismusforschung außerdem eine Erhebungsstudie zum Gegenwartsantisemitismus unter Leitung der Salzburger Historikerin Helga Embacher.



“Der Antisemitismus in Österreich ist komplexer geworden” 

Interview mit Gerald Lamprecht

Der Historiker Gerald Lamprecht leitet seit Anfang des Jahres den Forschungsschwerpunkt zu Antisemitismus an der ÖAW. Im Gespräch erklärt er, wie sich der Antisemitismus in Österreich seit den Anschlägen auf Israel verändert hat und warum er eine Studie zu Antisemitismus an Österreichs Unis plant.

Forschungen zu Antisemitismus haben seit dem 7. Oktober 2023, als Israel von der Hamas angegriffen wurde, auch in Österreich eine neue, traurige Aktualität bekommen. Am Institut für Kulturwissenschaften der ÖAW wurde – erstmalig in Österreichs akademischer Landschaft – ein eigener Forschungsbereich zu Antisemitismus verankert. Geleitet wurde der Bereich bisher von Heidemarie Uhl, die im vergangenen Jahr überraschend verstorben ist. Seit heuer setzt Gerald Lamprecht, Historiker von der Universität Graz, die Arbeit fort.

Bei einem Science Update mit Medienvertreter:innen an der ÖAW und im Gespräch gibt er erste Einblicke in die Themen und die Arbeit der ÖAW-Antisemitismusforschung.

Worum wird es bei der Erforschung von Antisemitismus an der ÖAW gehen? 

Gerald Lamprecht: Wir wollen an der ÖAW einen Schwerpunkt etablieren, der eine sozialwissenschaftliche Antisemitismusforschung mit einem historischen Zugang verknüpft. Der zeitliche Fokus wird auf Antisemitismus in Österreich in der Zeit nach 1945 liegen.

Was bedeutet Antisemitismus an Universitäten für jüdische Studierende?  

Antisemitismus an Österreichs Unis

Sie wollen zum Beispiel Antisemitismus an österreichischen Hochschulen untersuchen. Was ist da geplant? 

Lamprecht: Zunächst eine Pilotstudie, die sich mit der Frage des gegenwärtigen Antisemitismus an Österreichs Universitäten auseinandersetzen wird. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen seit dem 7. Oktober geht es etwa um die Fragen: Wie tritt Antisemitismus an Hochschulen zutage? Kann man überhaupt von einem einheitlichen Bild des Antisemitismus an den Universitäten sprechen? Es gibt ja viele Universitäten im Land. Und: Was bedeutet Antisemitismus an Universitäten für jüdische Studierende?  

Was macht den Antisemitismus an Hochschulen gegenüber anderen Bereichen der Gesellschaft besonders? 

Lamprecht: An den Universitäten finden Diskurse statt, die nicht unbedingt in der breiten Gesellschaft geführt werden, sehr wohl aber Auswirkungen auf diese haben. Unter anderem geht es um aktuell breit diskutierte postkoloniale Kritik am Staat Israel und seiner Politik. Die Frage dabei ist immer wieder, inwieweit hier eine legitime Kritik in Antisemitismus kippt. Über all dem darf man aber auch den „traditionellen” Antisemitismus an Hochschulen nicht außer Acht lassen. Wie steht es um den rechten Antisemitismus an den Unis? Wir wollen also keine einseitige Fokussierung in unserer Forschung, sondern breit und umfassend untersuchen.   

Von Rechts bis Links: Antisemitismus heute

In den letzten zehn bis zwanzig Jahren ist Antisemitismus in Österreich wesentlich komplexer geworden.

Das bedeutet, in Österreich gibt es einen „traditionellen“ und einen „neuen“ Antisemitismus? 

Lamprecht: In den letzten zehn bis zwanzig Jahren ist der Antisemitismus in Österreich wesentlich komplexer geworden. Zu “traditionellen” Formen des Antisemitismus, dessen Trägerschichten in politisch rechts gerichteten Gruppierungen zu finden sind, sind neue Formen und Gruppierungen hinzugekommen. Es findet eine zunehmende Verknüpfung mit dem Nahostkonflikt statt. Einerseits in einem linken Spektrum, wo Israel als imperialistischer Unrechtsstaat dargestellt wird. Andererseits ist unsere Gesellschaft aufgrund von Migrationsprozessen vielfältiger geworden, sodass wir Antisemitismus auch in muslimischen oder arabischen Bevölkerungsteilen festmachen können. Das Antisemitismus komplexer geworden ist, bedeutet aber nicht, dass der moderne rechte Antisemitismus verschwunden ist. Ganz im Gegenteil: Ich verweise nur auf die unzähligen Verschwörungstheorien, die rund um die Covid-Pandemie zirkulierten oder Liederbücher. 

Was kann man tun, um Antisemitismus in Österreich entgegenzuwirken? 

Lamprecht: Der erste Schritt ist immer das Benennen und das Erforschen dessen, was Antisemitismus ist. Aufbauend darauf muss man auf Aufklärung setzen. Und: Wir leben in einem Rechtsstaat. Das bedeutet, wo Gesetze verletzt werden, gibt es auch eine rechtliche Handhabe.

Gerald Lamprecht. © Elia Zilberberg/ÖAW

 

Auf einen Blick

Gerald Lamprecht ist Historiker und leitet das Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz, sowie den Forschungsschwerpunkt zu Antisemitismus am Institut für Kulturwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er beschäftigt sich mit Jüdischer Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, der Gedächtnisgeschichte und der Geschichte des Antisemitismus.