05.12.2023 | Gehirnorganoide

Organoidmodell des Dopamin-Systems

Forschende an der ÖAW entwickelten ein komplexes Organoidmodell des dopaminergen Systems, das über mehrere Gehirnregionen vernetzt ist. Damit eröffnen sich neue Wege zur Erforschung der Parkinson-Erkrankung sowie der Auswirkung chronischen Kokainkonsums. Die Studie wurde in Nature Methods publiziert.

Dopaminerge Neuronen im ventralen Mittelhirn (rot) und ventrale Mittelhirn-Projektionen in Striatum- und Kortex-Gewebe (grün). © Daniel Reumann

Ein vollendeter Lauf, die erste Tasse Kaffee am Morgen, der Geruch von frischgebackenen Keksen – all diese belohnenden Momente sind auf einen Anstieg des Neurotransmitters Dopamin zurückzuführen. Er wird von vernetzten Neuronen, dem sogenannten „dopaminergen Belohnungsweg“ im Gehirn, ausgeschüttet. Das dopaminerge System vermittelt nicht nur das Gefühl der Belohnung, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Feinmotorik – die bei der Parkinson-Krankheit verloren geht. Trotz der Bedeutung von Dopamin sind die wichtigsten Merkmale des Systems noch wenig verstanden. In ihrer jüngsten Studie – sie wurde in Nature Methods publiziert – entwickelte die Gruppe von Jürgen Knoblich am IMBA ‒ Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Organoidmodell des dopaminergen Systems, das nicht nur die Morphologie und die Nervenprojektionen, sondern auch die Funktionalität des Systems rekonstruiert.

Ein Modell der Parkinson-Krankheit

Tremor und ein Verlust der Feinmotorik sind charakteristische Merkmale der Parkinson-Krankheit. Diese Symptome werden verursacht durch einen Verlust von Nervenzellen, die den Neurotransmitter Dopamin freisetzen. Nun lässt sich Parkinson aber mit Tierstudien nur unzureichend untersuchen. Die oft als Tiermodelle untersuchten Nagetiere erkranken nämlich von Natur aus nicht an Parkinson und haben weniger und anders verdrahtete dopaminerge Neuronen als Menschen. "Daher haben wir versucht, ein In-vitro-Modell zu entwickeln, das diese menschlichen Merkmale in Hirnorganoiden rekapituliert. Das sind – von menschlichen Stammzellen abgeleitete – dreidimensionale Strukturen, die zum Verständnis der Entwicklung des menschlichen Gehirns und seiner Funktion verwendet werden können", erklärt Daniel Reumann, ehemaliger Doktorand im Labor von Jürgen Knoblich am IMBA und Erstautor der Arbeit.

Wir haben den dopaminergen Schaltkreis in vitro erfolgreich modelliert, da die Zellen nicht nur korrekt verdrahtet sind, sondern auch zusammen funktionieren.

Das Team entwickelte zunächst Organoidmodelle des ventralen Mittelhirns, des Striatums und des Kortex. Das sind die Regionen, die durch Neuronen im dopaminergen System verbunden sind. Dann entwickelten die Forschenden eine Methode, um diese Organoide zu fusionieren. Und tatsächlich sandten die dopaminergen Neuronen des Mittelhirn-Organoids, wie im menschlichen Gehirn, Projektionen ins Striatum und Kortex-Gewebe aus. „Wir beobachteten ein hohes Maß an dopaminerger Innervation sowie die Bildung von Synapsen zwischen dopaminergen Neuronen und Neuronen in Striatum und Kortex“, berichtet Reumann.

Um festzustellen, ob diese Neuronen und Synapsen funktionsfähig sind, arbeitete das Team mit der Gruppe von Cedric Bardy am SAHMRI und der Flinders University in Australien zusammen. Und sie konnten bestätigen, dass die Neuronen in diesem System beginnen würden, funktionelle Netzwerke zu bilden. „Wir haben also den dopaminergen Schaltkreis in vitro erfolgreich modelliert, da die Zellen nicht nur korrekt verdrahtet sind, sondern auch zusammen funktionieren“, fasst Reumann zusammen.

Unser Organoidsystem könnte als Plattform dienen, um die Bedingungen für Zelltherapien zu testen.

Das Organoidmodell des dopaminergen Systems bietet die Möglichkeit, Zelltherapien zur Behandlung von Parkinson zu verbessern. In ersten klinischen Studien haben andere Forschungsgruppen bereits Vorläuferzellen dopaminerger Neuronen in das menschliche Gehirn injiziert. Ziel war es, die verloren gegangene natürliche Innervation zu ersetzen. Der Erfolg dieser Studien sind jedoch bis jetzt gemischt. In Zusammenarbeit mit dem Labor von Malin Parmar an der Universität Lund in Schweden konnte gezeigt werden, dass die in das dopaminerge Organoidmodell injizierten dopaminergen Vorläuferzellen zu vollständigen Neuronen heranreifen. Diese Nervenzellen sind in der Lage, ihre neuronalen Projektionen innerhalb des Organoids auszusenden.

"Unser Organoidsystem könnte als Plattform dienen, um die Bedingungen für Zelltherapien zu testen. Es erlaubt uns zu beobachten, wie sich Vorläuferzellen in einer dreidimensionalen menschlichen Umgebung verhalten", erklärt Jürgen Knoblich, der korrespondierende Autor der Studie. „Dies ermöglicht es den Forschenden zu untersuchen, wie Vorläuferzellen effizienter differenziert werden können. Außerdem bietet das Organoidsystem eine Plattform, mit der untersucht werden kann, wie dopaminerge Axone in Zielregionen rekrutiert werden können – und das alles im Hochdurchsatzverfahren."  

Einblicke in das Belohnungssystem

Dopaminerge Neuronen werden auch aktiviert, wenn wir uns belohnt fühlen, und bilden damit die Grundlage des „Belohnungsweges“ in unserem Gehirn. Aber was passiert, wenn die dopaminerge Signalübertragung gestört wird, wie beispielsweise bei einer Sucht?

Wir können nun untersuchen, was die langfristigen Effekte der dopaminergen Überstimulation in einem menschenspezifischen In-vitro-System sind.

Um diese Frage zu untersuchen, verwendeten die Forschenden einen bekannten Dopamin-Wiederaufnahmehemmer, Kokain. Als die Organoide chronisch, über 80 Tage hinweg Kokain ausgesetzt waren, veränderte sich der dopaminerge Schaltkreis funktional, morphologisch und auf transkriptioneller Ebene. Diese Veränderungen hielten an, selbst als die Kokainexposition 25 Tage vor dem Ende des Experiments gestoppt wurde, was den Entzugszustand simulierte. „Selbst fast einen Monat nach Beendigung der Kokainexposition waren die Auswirkungen von Kokain auf den dopaminergen Schaltkreis noch sichtbar. Das bedeutet, dass wir nun untersuchen können, was die langfristigen Effekte der dopaminergen Überstimulation in einem menschenspezifischen In-vitro-System sind“, fasst Reumann zusammen.

 

Auf einen Blick

Publikation:

Daniel Reumann, Jürgen A Knoblich et al. "In vitro modeling of the human dopaminergic system using spatially arranged ventral midbrain–striatum–cortex assembloids". Nature Methods. DOI: 10.1038/s41592-023-02080-x