22.12.2023 | Genetik

Wie der Christbaum klimafit wird

Welche Nadelbäume werden an die Klimaverhältnisse im Jahr 2050 angepasst sein? Diese Frage versucht ÖAW-Pflanzengenetikerin Kelly Swarts mit Genomanalysen und künstlicher Intelligenz zu beantworten. Auf dem Spiel steht nicht nur der Christbaum der Zukunft sondern ganze Ökosysteme.

Der Klimawandel macht Nadelbäumen in Österreich Stress. Pflanzenforscher:innen der ÖAW suchen nach Arten, die resistenter gegen Hitze und Trockenheit sind. © Adobe Stock

Vor Weihnachten werden allein in Österreich fast drei Millionen Christbäume verkauft. Durch den Klimawandel kommen die Nadelbaumpopulationen gleichzeitig immer stärker unter Druck. Am Gregor Mendel Institut für molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erforscht das Team von Kelly Swarts, welche Anpassungen an lokale klimatische Bedingungen es an verschiedenen Fichtenstandorten gibt. Im Interview erklärt die Pflanzengenetikerin, wie eine selektive Pflanzung von an Wärme und Trockenheit angepassten Bäumen helfen kann, die Bestände fit für die Zukunft zu machen.

Nadelbäume in der Klimakrise

Sie arbeiten mit Nadelbäumen. Blutet Ihr Herz, wenn sie jetzt im Advent so viele gefällte Christbäume sehen?

Kelly Swarts: Das verkrafte ich ganz gut. Diese Bäume wurden ja gepflanzt, um gefällt zu werden, sie erfüllen also ihren Zweck. Und es ist ja immerhin ein gutes Zeichen, dass wir überhaupt noch Nadelbäume anpflanzen können.

Durch den Klimawandel wird es heißer und trockener. Die Fichten-Populationen in Österreich sind nicht an diese Bedingungen angepasst.

Ist die Lage schon so schlecht?

Swarts: Die Nadelbäume in Österreich geraten immer mehr unter Druck. Für die Gemeine Fichte zum Beispiel stellen unsere Breiten schon fast das südliche Ende ihres Verbreitungsgebiets dar. Durch den Klimawandel wird es heißer und trockener und die Populationen hier sind nicht an diese Bedingungen angepasst. Dadurch wachsen sie langsamer und sind anfälliger für Borkenkäfer und andere Bedrohungen. Die Fichten sterben und werden dann durch andere Baumarten wie Tannen verdrängt, die besser mit den geänderten Bedingungen zurechtkommen. Das ist auch für die Forstwirtschaft ein Problem, weil es schwieriger wird zu entscheiden, welche Bäume sinnvoll angepflanzt werden können. 

Das heißt, die Verbreitungsgebiete der Arten ändern sich schon?

Swarts: Ja, wir sehen Veränderungen bei allen Baumarten, weil die Temperaturen und Niederschlagsmengen nicht mehr den gewohnten Mustern folgen. Auch innerhalb einzelner Spezies passiert ein Wandel. Die Fichte kommt in Europa vom nördlichen Schweden bis in den Balkan vor. Die verschiedenen Populationen verfügen über ganz eigene genetische Anpassungen an die lokalen Verhältnisse. Fichten am Balkan kommen besser mit Hitze und Trockenheit zurecht. Diese Vorteile könnte man in unseren Populationen gut gebrauchen.

Rettung durch genetische Vielfalt

Wie unterschiedlich sind die Genome der Fichten?

Swarts: Die genetische Vielfalt ist sehr hoch. Wir versuchen in unserer Arbeit, besser an ihre lokalen klimatischen Verhältnisse angepasste Bäume zu identifizieren. Wir haben Modelle entwickelt, mit denen wir das Genom eines Baumes analysieren und vorhersagen, wie dieses Individuum unter den zu erwartenden klimatischen Verhältnissen im Jahr 2050 zurechtkommen würde. 

Verbreiten sich die nützlichen Anpassungen?

Wir haben Modelle entwickelt, mit denen wir das Genom eines Baumes analysieren und vorhersagen, wie dieses Individuum unter den zu erwartenden klimatischen Verhältnissen im Jahr 2050 zurechtkommen würde.

Swarts: Die lokalen Anpassungen sind sehr effektiv und Pollen von Fichten können vom Wind hunderte Kilometer weit verfrachtet werden. Aber die natürliche Verbreitung und Vermischung von genetischem Material hat Grenzen und die Balkanpopulationen sind zu weit weg von Österreich. Allein durch natürliche Verbreitung würden positive Anpassungen Generationen und Jahrhunderte brauchen, bis sie bei uns ankommen. Das ist viel zu langsam, um dem rasanten Klimawandel etwas entgegenzusetzen. 

Das heißt, wir sollten Fichten vom Balkan pflanzen?

Swarts: So einfach ist es leider nicht. Neben den klimatischen Bedingungen unterscheiden sich auch viele andere Voraussetzungen für die Fichten. Die Bäume vom Balkan sind vielleicht resistenter gegen Hitze und Trockenheit, kommen aber nicht notwendigerweise gut mit den anderen Bedingungen in Österreich zurecht. Was wirklich helfen würde, wäre das Einkreuzen der für die gewünschten Anpassungen relevanten Gene.

Anpassung an Klimawandel durch Genetik

Wäre es nicht einfacher, das Genom im Labor nach Wunsch zu editieren?

Swarts: Nein, dann würden wir die genetische Vielfalt, die Populationen robust macht, einbüßen. Einkreuzen ist die bessere Lösung. Dafür müssen wir aber die Genetik in den Populationen verstehen und die relevanten Gene identifizieren. Wir vergleichen deshalb das Wachstum von Bäumen an verschiedenen Standorten anhand der Jahresringe mit Klimaaufzeichnungen. Wenn wir sehen, dass die Verhältnisse im Jahr X nass und kalt waren, können wir die Bäume identifizieren, die unter diesen Bedingungen besonders gut gewachsen sind. Dann sehen wir uns die Genome genauer an und versuchen, die relevanten Anpassungen zu finden. Den genetischen Einfluss von Temperatur und Niederschlag von anderen Anpassungen zu trennen, ist nicht einfach. Das klappt nur, weil wir große Populationen für statistische Analysen zur Verfügung haben.

Allein durch natürliche Verbreitung würden positive Anpassungen Jahrhunderte brauchen. Das ist viel zu langsam, um dem rasanten Klimawandel etwas entgegenzusetzen.

Wie passen sich die Fichten an wärmere und trockenere Bedingungen an?

Swarts: Das ist noch Gegenstand der Forschung. Die Größe der Zellen, die am Wassertransport im Baum beteiligt sind, spielt zum Beispiel eine Rolle. Wir vermuten, dass weniger und größere Zellen die Bäume anfälliger für Trockenstress machen. Wir haben ein KI-System trainiert, das die Zellen auf Bildern kategorisieren kann, um diese These zu prüfen. Wir haben ungefähr 20 Mutationen gefunden, die die Form der relevanten Zellwände beeinflussen. 

Ist die Fichte in unseren tieferen Lagen noch zu retten?

Swarts: In einzelnen Regionen werden Fichtenbestände durch klimaresistentere Buchen ersetzt. Dadurch entsteht ein ganz anderes Ökosystem, das vielleicht nicht den Bedürfnissen der lokalen Fauna entspricht. In einigen Teilen Europas wird es sicher so sein, dass andere Arten anstelle der Fichten gepflanzt werden müssen. Aber in Regionen wie Österreich können wir durch die Einkreuzung genetischer Anpassungen die Resilienz der Bestände verbessern. Die Varianten, die besser an Hitze und Trockenheit angepasst sind, existieren schon. Wir müssen nur Mittel und Wege finden, sie zu nutzen. Die Frage ist, ob wir schnell genug handeln können. Denn was wir heute pflanzen entscheidet, wie fit die Populationen ab 2060 sein werden. 

 

Auf einen Blick

Kelly Swarts ist eine US-amerikanische Pflanzengenetikerin und forschte u.a. am Max-Planck Institute for Developmental Biology in Deutschland. Seit 2019 ist sie Gruppenleiterin am Gregor Mendel Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien.