24.10.2023 | Konferenz

Wie man am Kulturerbe teilhaben kann

„Bedenke, dass Du sterben musst“: Das war die Botschaft der Memento-mori-Literatur in der Zeit des Barock. Dass diese Literatur selbst nicht gestorben ist, verdanken wir auch der Digitalisierung. Dadurch sind viele historische Texte erhalten geblieben und lassen sich heute mit modernen Techniken für die Forschung auswerten. Welches Potential die Digital Humanities für die Erforschung des Kulturerbes haben, erklären eine Konferenz an der ÖAW und die Germanistin Claudia Resch im Interview.

Dem Tod kann keiner entkommen, nicht einmal der König. Die Memento-mori-Literatur des Barock wird heute mit digitalen Methoden erforscht. © Wikimedia Commons

„Kulturelles Erbe ist nichts Statisches, sondern muss immer neu kontextualisiert und interpretiert werden“, davon ist Claudia Resch überzeugt. Am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erforscht sie historische Texte mittels digitaler Methoden. Wie man kulturelle Erzeugnisse der Vergangenheit für die kommenden Generationen erschließen und zugänglich machen kann, auch über die akademische Landschaft hinaus, das erklärt sie am Beispiel der barocken Memento mori-Literatur.

Von 24. bis 25. Oktober lädt das Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW zur Konferenz "Cultural Heritage-Research in the Digital Age", die aktuelle Sprach-, Literatur-, Musik- und Biografieforschung reflektiert und im Rahmen einer Projektbörse Forschungsarbeiten vorstellt.

Totgesagte leben länger

In der Memento mori-Literatur des Barock werden die Leser:innen dazu ermahnt, ein tugendhaftes Leben zu führen, um jederzeit auf den Tod vorbereitet zu sein. Wie wurde diese Botschaft vermittelt?

Claudia Resch: Memento mori bedeutet "Bedenke zu sterben" – oder drastischer formuliert: "Bedenke, dass du sterben musst." Diese Botschaft wird in in dieser Art von Literatur besonders einprägsam vermittelt. Etwa indem die Autoren alle Lebensalter – vom Kind in der Wiege über die Jugend, das Erwachsenenalter bis zum Greis – durchgehen und damit auch verdeutlichen, dass man in keiner Phase seines Lebens vor dem Tod sicher ist.

Diese Literatur kennt einen besonderen Kunstgriff. Das ist jener, dass man den Tod mit den Menschen reden lässt. Der Tod stellt sich hier als Gesprächspartner vor, es gibt Rede und Widerrede. Die Gespräche können mahnend sein oder dramatisch, vorwurfsvoll und vonseiten des Todes auch sehr respektlos gegenüber dem menschlichen Leben. Aber es gibt auch humorvolle Szenen und sogar tröstliche. Es bleibt die Erkenntnis, dass alle sterben müssen und alles vergänglich ist.

Die Digitalisierung ist ein Game Changer.

Die literarischen Formen, die sich im Kleinen wie im Großen dem barocken Memento mori zuordnen lassen sind sehr unterschiedlich. Können Sie uns hier einen Einblick geben?

Resch: Das reicht von Sinnsprüchen über Gedichte bis hin zu in die Literatur eingeflochtenen Liedern. Manche Texte sind mit Illustrationen versehen, wodurch das Memento mori auf mehreren Ebenen vermittelt wird. Das können große Kupferstiche sein, die eine ganze Seite ausfüllen, wo der Tod zum Beispiel als Skelett dargestellt ist. Oder es sind nur kleine Vignetten, die Symbole der Vergänglichkeit zeigen, etwa das Verlöschen einer Kerze, verwelkende Blumen, einen Totenschädel oder eine Sanduhr, die das Memento mori in Erinnerung rufen.

Neue Technik, neue Fragen

Sie haben anhand barocker Memento mori-Literatur gezeigt, wie historische Daten idealerweise aufbereitet und annotiert werden sollten. Das Kernkorpus dazu wurde schon 2015 veröffentlicht. Inwiefern haben Sie den Daten dadurch ein Nachleben gesichert?

Resch: Nie hätte ich damals gedacht, dass sich bis heute immer wieder neue Forschungsfragen an das Material herantragen lassen. Mit der zunehmenden Digitalisierung von historischen Drucken im verlässlichen Volltext und auch durch die Weiterentwicklung der Tools haben sich unsere Möglichkeiten in den vergangenen Jahren enorm erweitert. Inzwischen kann ich zum Beispiel die von mir damals edierten Texte mit 350 anderen Texten aus dieser Zeit automatisch abgleichen, um bestimmte Muster zu erkennen. Und man kann das Wissen, dass in diesen Texten schon digital gespeichert ist, nämlich die Annotationen, immer wieder als Ausgangspunkt für weitere Forschungsfragen verwenden. Voraussetzung dafür ist immer, dass man die Texte nach festgelegten Standards kodiert.

Wir haben in der Zwischenzeit herausgefunden, dass nicht alle Werke, die Abraham a Santa Clara zugeschrieben werden, auch seine sind.

Wie sehen diese Standards aus?

Resch: Hier gibt es besondere Richtlinien, die festhalten, wie man ein digitales Dokument überhaupt beschreibt, wie man strukturelle oder inhaltliche Besonderheiten kodiert, wie man zum Beispiel Überschriften, Inhaltsverzeichnisse, Prosatext, Verszeilen, Zitate, aber auch vorkommende Personen- oder Ortsnamen annotiert. Wenn man sich an diesen Vorgaben orientiert, kann man davon ausgehen, dass die Texte weiter genutzt werden können und auch mit anderen Texten kompatibel sind.

Einer der bekanntesten Autoren jener Zeit war Abraham a Santa Clara. Was haben Sie über ihn herausgefunden?

Resch: Wir haben in der Zwischenzeit herausgefunden, dass nicht alle Werke, die Abraham a Santa Clara zugeschrieben werden, auch seine sind. Das lässt sich mit digitalen Methoden genauer nachweisen, indem man auswertet, welche Wörter am häufigsten verwendet werden und wie oft diese in einem Text vorkommen, wo die Autorenschaft fraglich ist. Was die frühere Abraham Forschung immer schon vermutet hat, lässt sich nun also durch digitale Methoden überprüfen.

Erhalten für kommende Generationen

Welches Potenzial hat die Kulturerbe Forschung für die akademische Landschaft und darüber hinaus?

Resch: Vorweg: Die Memento mori-Literatur steht nur beispielhaft für viele andere digitale Editionsvorhaben am Institut. Die Kodierungsstandards, die wir in meinem Projekt angelegt haben, gelten auch für andere Editionen der Abteilung Literatur- und Textwissenschaft.

Klar ist: Die Digitalisierung ist für uns ein Game Changer. Das Potenzial von Texten liegt gerade in der Maschinenlesbarkeit. Und wir haben inzwischen Tools wie „Transkribus“, womit man historische Dokumente, seien es handschriftliche oder gedruckte Quellen, bereits fast fehlerfrei automatisch einlesen kann. Dadurch vervielfachen sich unsere Möglichkeiten. Der digitale Text wird dann sozusagen zum Wissensrohstoff, aus dem Editionen, Korpora, aber auch Wörterbücher hervorgehen können.

Unsere Aufgabe ist es, diese kulturellen Erzeugnisse der Vergangenheit für die kommenden Generationen zu erschließen und zugänglich zu machen

Kulturelles Erbe ist nichts Statisches, sondern muss immer neu kontextualisiert und interpretiert werden. Unsere Aufgabe am Institut ist es, diese kulturellen Erzeugnisse der Vergangenheit für die kommenden Generationen zu erschließen und zugänglich zu machen – auch über die akademische Landschaft hinaus. Denn: An diesem kulturellen Erbe kann man teilhaben, das befördern die digitalen Methoden. Aus Digital Humanities werden letztlich auch Public Digital Humanities.

Apropos Sterben. Wie geht es mit der Forschung am Wiener Diarium weiter, nachdem das tägliche Erscheinen der ältesten Tageszeitung der Welt, der Wiener Zeitung, eingestellt wurde?

Resch: Das war natürlich sehr bedauerlich – gerade auch deshalb möchte ich unser Pilotprojekt, in dessen Rahmen wir eine Auswahl von Ausgaben aus dem 18. Jahrhundert in sehr guter Textqualität digital zur Verfügung gestellt haben, weiter ausbauen. Zuvor werden wir noch das technische Framework neu aufsetzen und belastbarer machen. Mit dem KI-Modell, das wir speziell für die Ausgaben des Diariums trainiert haben, sind wir zuversichtlich, dass wir weitere Ausgaben mit sehr guten Resultaten automatisch einlesen und damit die Datenbasis weiter verdichten können, wie es einem periodisch erscheinenden Medium, wie das Diarium eines war, schließlich am besten entspricht.

 

AUF EINEN BLICK

Claudia Resch leitet die Abteilung Literatur- und Textwissenschaft am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Resch studierte Germanistik und Medienwissenschaft an der Universität Wien, wo sie sich auch habilitiert hat und heute an verschiedenen Universitätsinstituten unterrichtet.

 

 

 

Konferenz: Cultural Heritage-Research in the Digital Age
24. bis 25. Oktober 2023
Projektbörse: 25. Oktober 2023 ab 14:30 Uhr

Österreichische Akademie der Wissenschaften
Festsaal und Aula
Dr. Ignaz Seipel-Platz 2
1010 Wien 

PROGRAMM